Der rasante Zuwachs medizinischen Wissens stellt uns vor Herausforderungen. Ein Gespräch mit Dr. Daniel Kalanovic  Pfizer  über kollektive Intelligenz und die Möglichkeiten der digitalen Transformation. Foto: ©iStock.com/ipopba
Der rasante Zuwachs medizinischen Wissens stellt uns vor Herausforderungen. Ein Gespräch mit Dr. Daniel Kalanovic Pfizer über kollektive Intelligenz und die Möglichkeiten der digitalen Transformation. Foto: ©iStock.com/ipopba

E-Health: Mit angezogener Handbremse in die Zukunft?

Gesundheitsdaten sind sensibel – der Schutz vor Missbrauch deshalb ein hohes Gut und eine berechtigte Forderung. Doch bei der Debatte über den Datenschutz wird oft verdrängt, welche Schätze in den Versorgungsdaten liegen. Datenbasierte Anwendungen können die Lebensqualität steigern, die medizinische Versorgung effizienter gestalten; sprich: Geld sparen – und letztlich Leben retten. Oder umgekehrt: Die Nicht-Nutzung solcher Daten macht Medizin und Forschung schlechter als sie sein könnten. Das politische Berlin diskutiert das Patientendaten-Schutz-Gesetz. Demnach hat nur die öffentliche Forschung Zugriff auf anonymisierte Patientendaten. Das ist falsch, findet die eHealth-Allianz.

Im israelischen Gesundheitswesen hat die digitale Uhr einen anderen Takt. Bereits seit zwei Jahrzehnten setzt das Land auf Big Data; werden die Patientendaten der rund acht Millionen Einwohnern zentral erfasst, ausgewertet, miteinander verknüpft. Das ist kein schräges Hobby zahlenaffiner Menschen sondern hat konkrete Auswirkungen für die Gesundheit der Menschen: So nutzt z.B. die Gesundheitspflegeorganisation Maccabi einen Algorithmus, der auf Basis ihrer Patientendaten und bestimmter Werte Menschen mit einem erhöhten Risiko für Darmkrebs erkennt. Über die algorithmische Erkennung erfolgt ein Vermerk in der persönlichen Gesundheitsakte, der die Ärzte auf die Hochrisikopatienten hinweist. Diese können den Betroffenen dann zu einer Vorsorgeuntersuchung einladen, um bestenfalls präventiv einzugreifen.

Die Gesundheitsdaten der Menschen in Deutschland können ein Schatz sein. Foto: ©iStock.com/ipopba
Die Gesundheitsdaten der Menschen in Deutschland können ein Schatz sein. Foto: ©iStock.com/ipopba

Ist der digitale Patient der gesündere Patient?

Mathe machts möglich: Ist der digitale Patient der gesündere Patient? Israel will seine Vorreiterstellung in Sachen Digital Health auf jeden Fall ausbauen, wie im Blog „Der digitale Patient“ der Bertelsmann-Stiftung nachzulesen ist. Das Land profitiert doppelt: Denn die digitale Strategie mit dem Anspruch, „Schlaraffenland für die internationale Forschung“ zu werden, schafft den Nährboden für eine Gründerszene, die Israel den Ruf einer Start-up-Nation eingebracht hat.

Fakt ist: Die Gesundheitsdaten der Menschen in Deutschland können ein Schatz sein, der, wie das Beispiel Israel zeigt, schwere Krankheitsverläufe vermeiden helfen kann. Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will diesen Schatz heben. Deshalb diskutiert das politische Berlin gerade seinen Entwurf des Patientendaten-Schutz-Gesetzes (PDSG). Es soll den geregelten Zugang und die Nutzung der Daten ermöglichen. Grundsätzlich eine gute Idee, findet die eHealth-Allianz, in der sich acht Verbände – darunter auch der vfa (Verband der forschenden Arzneimittelhersteller) – zusammengeschlossen haben. In einem Positionspapier begrüßt sie die dort vorgesehene Möglichkeit einer freiwilligen Datenfreigabe für Forschungszwecke („Datenspende“), wundert sich aber, dass die private Forschung außen vor bleiben soll.

Industrie: Wachstumstreiber der Gesundheitswirtschaft

Daten öffnen neue Wege. ©iStock.com/SeventyFour
Daten öffnen neue Wege. ©iStock.com/SeventyFour

Denn forschende Unternehmen sind Haupttreiber: „Circa 75 Prozent der Forschungsvorhaben werden entweder durch die Industrie getragen oder finanziert“, ist im Positionspapier nachzulesen. Man befürchtet, dass Deutschland in Sachen Innovationsfähigkeit und -potenzial den Anschluss verliert, denn „der Zugang zu validierten Daten ist für die Forschung und die Entwicklung von innovativen Lösungen eine entscheidende Voraussetzung“ – und das auch deshalb, weil andere Länder beschlossen haben, einen anderen Weg zu gehen. In Finnland beispielsweise haben seit Anfang 2020 neben Forschungsinstitutionen auch forschende Unternehmen Zugriff auf Gesundheitsdaten.

Datenzugang kann der Forschung gänzlich neue Wege öffnen. So lassen sich bei klinischen Medikamentenstudien auf Basis großer Datenmengen virtuelle Kontrollarme bilden. Statt eines Scheinmedikaments (Placebo) – das gängige Verfahren, um Aussagen über die Wirksamkeit neuer Wirkstoffe im Vergleich treffen zu können – könnte die Kontrollgruppe einer Studie auf Basis von bereits vorhandenen Patientendaten virtuell simuliert werden. Das hätte mehrere Vorteile: Es ermöglicht kleinere Studien, die Patienten würden nur die neue und womöglich bessere Therapie erhalten, neue Therapien könnten den Patienten, die sie brauchen, gegebenenfalls schneller zur Verfügung stehen. „Das nützt Patientinnen und Patienten ganz konkret“, schreibt Vfa-Chef Han Steutel im Observer Gesundheit. „Und es spart Zeit und Kosten.“ Die Voraussetzung: Datenzugang. Solche Studien gibt es bereits – aber bisher nur mit Daten aus den USA.

Die digitalen Chancen auf Basis anonymisierter Patientendaten lassen sich bisher nur erahnen:

  • So bieten Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) gerade dort, wo multidimensionale Daten betroffen sind, wo Labor-, Bildgebungs- und Befundparameter verknüpft werden können, die Möglichkeit, die Krebsfrüherkennung auf eine neue Ebene zu heben. Dank KI ließen sich also viele Krebsfälle vermeiden, bevor sie entstehen.
  • Neue Versorgungskonzepte können entstehen – etwa durch telemedizinisch unterstützte Therapien, wo – durch die Ausweitung des Datenpools – nicht nur die Therapie selbst, sondern Risikofaktoren für bestimmte Begleiterkrankungen früh erkannt und behandelt werden können.
  • Sinnvoll genutzte Daten bergen das Versprechen, die Gesundheit der Menschen verbessern zu können, denn sie ermöglichen Analysen aktueller Therapiewege und zeigen Verbesserungsmöglichkeiten auf (Versorgungsforschung).
  • Patientendaten können genutzt werden, um den aktuellen Krankheitsverlauf besser zu evaluieren und ggfs. anpassen zu können (z.B. Anpassung der Dosierung). Auf Basis verknüpfter genotypischer, phänotypischer und epidemiologischer Daten lassen sich Mutationen erkennen und bewerten – ein Schritt nicht nur in Richtung einer frühzeitigen, sondern auch einer personalisierten Behandlung.
Das politische Berlin diskutiert das PDSG. Foto: ©iStock.com/AndreyPopov
Das politische Berlin diskutiert das PDSG. Foto: ©iStock.com/AndreyPopov

Es sind nur einige Beispiele, die zeigen, was die Nutzung digitaler Patientendaten an Chancen bieten kann. Aus Sicht der e-health-Allianz muss der PDSG-Entwurf deshalb um ein eigenständiges Antragsrecht der privaten Forschung ergänzt werden. Damit aus Big Data Smart Data wird. Denn „Gesundheitsdaten retten Leben“, wie die eHealth-Allianz schreibt.

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