Pocken und Rinderpest sind Geschichte. Doch andere Krankheiten – wie Polio – warten noch darauf  weltweit ausgerottet zu werden. Grafik: Pharma Fakten  nach: https://ourworldindata.org/eradication-of-diseases (CC-BY)
Pocken und Rinderpest sind Geschichte. Doch andere Krankheiten – wie Polio – warten noch darauf weltweit ausgerottet zu werden. Grafik: Pharma Fakten nach: https://ourworldindata.org/eradication-of-diseases (CC-BY)

Krankheiten ausrotten: ein „fortlaufender Prozess“

Louis Pasteur (1822-1895), der als Pionier auf dem Gebiet der Mikrobiologie gilt und unter anderem Impfstoffe gegen die Tollwut entwickelte, erklärte einst, es stehe in der Macht der Menschheit Infektionskrankheiten von der Erde zu verbannen. Und tatsächlich gelang das bei den Pocken und der Rinderpest. Auch bei der Kinderlähmung (Poliomyelitis) ist die Weltgemeinschaft auf einem guten Weg. Aber lassen sich alle Infektionskrankheiten ausrotten?
Pocken. Content Providers: CDC/James Hicks - Public Health Image Library der Centers for Disease Control and Prevention
Pocken. Content Providers: CDC/James Hicks – Public Health Image Library der Centers for Disease Control and Prevention

1980 war ein besonderes Jahr: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte offiziell die Pocken als erste Krankheit überhaupt für weltweit ausgerottet. Allein im 20. Jahrhundert hatte das Virus noch 300 Millionen Menschen das Leben gekostet. „Ab der Entwicklung eines Pocken-Impfstoffs durch Edward Jenner im Jahr 1796 dauerte es noch fast zwei Jahrhunderte bis zur Eradikation der Krankheit“, schreibt ein Team der Universität Oxford um den Ökonomen Max Roser auf der Webseite „Our World in Data“. Die Wendung brachte demnach die Gründung der WHO 1948: In diesem Zuge wurde der Kampf gegen die Pocken von nationaler auf internationale Agenda gehoben – u.a. mit einem 1966 ins Leben gerufenem und mit finanziellen Mitteln ausgestattetem Ausrottungsprogramm („Intensified Smallpox Eradication Program“). 

Bis heute sind die Pocken die einzige menschliche Infektionskrankheit, die vollends besiegt wurde. Ähnliches schaffte die Weltgemeinschaft lediglich bei der Rinderpest (2011), die in erster Linie Rinder und Büffel befiel. Doch anlässlich des 40. Jubiläums der Pocken-Ausrottung im vergangenen Mai betonte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus: „Jetzt, da sich die Welt mit der COVID-19-Pandemie konfrontiert sieht, ist der Sieg der Menschheit über die Pocken eine Erinnerung daran, was möglich ist, wenn sich Nationen zusammenschließen, um eine gemeinsame Gesundheitsbedrohung zu bekämpfen.“ Gegenüber der Presse betonte er, welch große Rolle die Verfügbarkeit eines Impfstoffes sowie die globale Solidarität gespielt hatten. 

Eradikation: dauerhaft & weltweit

Die nächste Krankheit, die weltweit ausgerottet werden könnte, ist Polio. Seit Gründung der „Global Polio Eradication Initiative“ 1988 ist die Zahl der Krankheitsfälle um über 99 Prozent zurückgegangen. Unter anderem mithilfe von umfangreichen Impfkampagnen können mehr als 18 Millionen Menschen heute laufen, „die ansonsten gelähmt worden wären“, so die WHO.

„Theoretisch könnten viele Erkrankungen ausgerottet werden“, schreiben Roser und Co. auf „Our World in Data“. „In Wirklichkeit treffen jedoch nur auf eine Handvoll an Erkrankungen die Kriterien zu, die sie mit dem aktuellen Wissensstand, den Einrichtungen und der Technologie eradizierbar machen.“ Eradikation bzw. Ausrottung heißt: die weltweite Zahl der neuen Krankheitsfälle befindet sich dauerhaft bei null. Ist eine Erkrankung samt ihrem Erreger einmal ausgerottet, sind Interventionsmaßnahmen – wie etwa Impfungen – nicht mehr notwendig. Anders ist das bei der „Elimination“: Hier wird nur die Infektionskette in einer bestimmten Region unterbrochen; theoretisch ist es zudem möglich, eine Krankheit beim Menschen zu „eliminieren“, während der Erreger selbst aber in der Umwelt verbleibt. So oder so gilt: Maßnahmen wie Impfungen müssen aufrechterhalten werden.

Welche Infektionskrankheiten lassen sich weltweit ausrotten? 

Foto: ©iStock.com/Yakobchuk
Welche Infektionskrankheiten lassen sich weltweit ausrotten?

Foto: ©iStock.com/Yakobchuk

Kriterien, damit eine Ausrottung denkbar ist

„Eine Erkrankung kann man nur ausrotten, wenn man sie von anderen Menschen oder Tieren bekommen kann – sie also infektiös ist“, heißt es bei „Our World in Data“. „Nicht ansteckende Leiden wie Herzerkrankungen oder Krebs können nicht eradiziert werden.“ Zwar gibt es bestimmte Stoffwechselerkrankungen, die von der Erde verschwinden könnten, wenn sich alle Menschen entsprechend ernähren und so – zum Beispiel – ein Vitamin C-Mangel verhindert würde. Doch eradiziert sind sie nicht – schließlich tauchen sie wieder auf, sobald sich der Ernährungszustand ändert. 

Ein weiteres Kriterium, damit eine Ausrottung überhaupt denkbar wird: Es muss in irgendeiner Form die Möglichkeit geben, sie zu verhindern (Prävention: z.B. Impfung) oder zu behandeln.

Darüber hinaus spielen viele andere Faktoren eine Rolle – etwa die Frage, wie leicht eine Erkrankung überhaupt erkennbar und diagnostizierbar ist. Oder ob sie bereits in einer bestimmten Region eliminiert werden konnte. Ausrottungsbemühungen haben es zudem einfacher, umso weniger verschiedene Erreger die jeweilige Krankheit verursachen können. Die Pocken z.B. wurden durch nur zwei Typen des Variolavirus hervorgerufen – „dieselbe Vakzine wurde zur Prävention angewendet“. Bessere Erfolgsaussichten gibt es auch dann, wenn der jeweilige Erreger nur einen Wirt hat. Bei der Drakunkulose – eine Infektionskrankheit, die durch den sog. Guinea-Wurm verursacht wird – stand die Weltgemeinschaft schon mal kurz vor der Eradikation. Doch dann stellte sich heraus, dass der Wurm auch Tiere wie Hunde befällt – und somit müssen die Ausrottungsmaßnahmen nun auch auf diese ausgeweitet werden.

Eradikation kann sich auch finanziell lohnen

Der Krankheitserreger selbst kann noch so viele der genannten Kriterien erfüllen: Stehen nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung oder ist die politische Lage in den betroffenen Ländern angespannt, kann das Projekt „Eradikation“ schnell zu einem unmöglichen Unterfangen werden. Auch ist die Höhe der Krankheitslast relevant, wenn es um die Entscheidung geht, ob Eradikationsmaßnahmen ergriffen werden. 

„Der unmittelbare Nutzen von einer Krankheitsausrottung ist offensichtlich: Leiden verhindern und Menschenleben retten“, schreiben Roser und seine Kollegen. Doch auch finanziell kann sich das lohnen (s. Grafik): Will die Weltgemeinschaft eine Krankheit ein für allemal in die Geschichtsbücher verbannen, benötigt sie zwar zunächst viel Geduld und finanzielle Investitionen. Doch langfristig gesehen, kann sich das auszahlen – schließlich bedeuten anhaltende Krankheitsfälle eine Last für die Gesundheitssysteme und für die wirtschaftliche Produktivität. Aus diesem Grund machten Geberländer und private Spender Ende 2019 Zusagen in Höhe von rund 2,6 Milliarden US-Dollar, um den weltweiten Plan zur Ausrottung von Polio zu finanzieren. Ziel ist es, 450 Millionen Kinder jährlich gegen Polio zu impfen. Um die Eradikation zu schaffen, sind aber laut Experten noch weitere Investitionen notwendig. So wird die für eine endgültige Ausrottung benötigte Summe auf 3,2 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Ausrottung als „fortlaufender Prozess“

Eradikation ist immer Gegenstand kontinuierlicher Diskussionen, bemerken Roser und Co. Schon die Frage, welche Erreger überhaupt ausgerottet werden können, muss ständig neu erörtert werden. Im Rahmen der 1988 gegründeten „International Task Force for Disease Eradication“ der Non-Profit-Organisation „The Carter Center“ haben Wissenschaftler laut Webseite aktuell für acht Krankheiten Ausrottungspotenzial festgestellt: Drakunkulose, Polio, Mumps, Röteln, lymphatische Filariose, Zystizerkose, Masern und Frambösie. Diese Liste ist nicht in Stein gemeißelt. Denn mit jeder neuen Entwicklung – etwa einem Impfstoff – und mit wachsendem Wissen über Infektionskrankheiten kann sich die Situation ändern. Zumal es keine weltweite Einigkeit darüber gibt, welche Leiden zu eradizieren bzw. eliminieren sind.

Und selbst wenn Eradikationsprogramme – wie etwa gegen Polio oder Drakunkulose – ins Leben gerufen werden, zeigt sich: Das Ganze ist ein „fortlaufender Prozess“ – ein Auf und Ab. Drakunkulose zum Beispiel wollte man ursprünglich bis 1995 ausrotten; schließlich bis 2009, dann 2015, 2020 und nun bis 2030. 

Der Mikrobiologe Walter R. Dowdle – einst Vizedirektor bei der US-amerikanischen Behörde „Centers for Disease Control and Prevention“ – schrieb 1998 in einem Bulletin der WHO: „Elimination und Eradikation sind die ultimativen Ziele öffentlicher Gesundheit. Die einzige Frage ist, ob sie in der Gegenwart oder durch eine zukünftige Generation zu erreichen sind“.

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