„Findet die fehlenden Millionen“: So lautet das Motto des Welt-Hepatitis-Tages. Bei der Eliminierung von Hepatitis C muss sich noch viel tun  so Dr. Karsten Kissel  Gilead. Foto: ©iStock.com/Chinnapong
„Findet die fehlenden Millionen“: So lautet das Motto des Welt-Hepatitis-Tages. Bei der Eliminierung von Hepatitis C muss sich noch viel tun so Dr. Karsten Kissel Gilead. Foto: ©iStock.com/Chinnapong

Welt-Hepatitis-Tag: Verfehlt Deutschland die Hepatitis C-Eliminierung?

Es sind nicht einmal mehr zehn Jahre: Bis 2030 will die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Hepatitis B und C entscheidend eindämmen. Auch von Eliminierung ist die Rede. Möglich wäre es, sagt Dr. Karsten Kissel, medizinischer Direktor beim Arzneimittelentwickler Gilead. Ob es gelingt, ist eine andere Frage.

Nach WHO-Schätzungen sind weltweit 325 Millionen Menschen von einer chronischen Hepatitis B oder C betroffen – davon 71 Millionen allein von Hepatitis C. Aber erst vier Länder sind weltweit auf gutem Weg, die Eliminierung zu schaffen. Dabei „ist Hepatitis C heute praktisch immer heilbar und könnte weltweit eingedämmt werden“, wie es bei welthepatitistag.info heißt, eine Webseite, die von der Deutschen Leberhilfe e.V. betrieben wird. Wie jedes Jahr am 28. Juli will man mit dem Welttag über Schutz- und Behandlungsmöglichkeiten aufklären. Im Interview mit Pharma Fakten erläutert Dr. Karsten Kissel den Stand der Eliminierung von Hepatitis C in Deutschland.

Seit rund sechs Jahren gibt es die neue Generation antiviraler Medikamente zur Behandlung von Hepatitis C. Was hat sich seitdem in der Behandlung geändert?

Dr. Karsten Kissel. Foto: Gilead Sciences
Dr. Karsten Kissel. Foto: Gilead Sciences

Dr. Karsten Kissel: Im Grunde alles. In der Behandlung von Hepatitis C war das Jahr 2014 ein Wendepunkt – denn es steht für den ersten Vertreter einer ganz neuen Generation von antiviralen Medikamenten, mit denen Heilungsraten von durchschnittlich über 95 Prozent möglich sind. Heute stehen den Patienten und Ärzten verschiedene Kombinationspräparate zur Verfügung – übrigens nicht nur aus unserer eigenen Forschung. Bis zum Jahr 2010 behandelte man Hepatitis C-Patienten mit einer Kombination aus Interferonen und dem Virostatikum Ribavirin. Die Therapie dauerte fast ein Jahr, war für die Patienten sehr unangenehm und belastend und war nicht einmal bei der Hälfte der Behandelten erfolgreich. Ganz anders die Situation heute: Fast alle Hepatitis C-Patienten sind spätestens nach zwölf Wochen geheilt – und von der Therapie merken die meisten nichts, weil sie so gut verträglich ist.

Können denn alle Patienten behandelt werden? Was ist mit den schweren und fortgeschrittenen Fällen?

Kissel: Die neueste Generation antiviraler Medikamente macht es möglich, fast alle Patienten erfolgreich zu behandeln – das gilt ausdrücklich auch für schwer kranke Menschen, bei denen die Zerstörung der Leber schon weit fortgeschritten ist. Dadurch hat sich die Zahl der Lebertransplantationen aufgrund einer schweren Hepatitis C deutlich reduziert.

Die Eliminierung von Hepatitis C ist möglich. Wo stehen wir damit in Deutschland?

Kissel: Was die Behandlung angeht, haben wir die Instrumente in der Hand, um die Krankheit zu eliminieren. Das ist aber nicht ausreichend. Deutschland war zunächst auch auf einem guten Weg, aber jetzt treten wir hierzulande – und das war schon vor der Corona-Pandemie so – ein wenig auf der Stelle. Von aktuell geschätzt 189.000 infizierten Menschen in Deutschland sind erst zwei Drittel diagnostiziert – das WHO-Ziel ist aber 90 Prozent. Tatsächlich behandelt werden nur 30 Prozent der Betroffenen – und hier sollten es 80 Prozent sein. Eine Hepatitis C-Diagnose wird nur für ca. 6.600 Personen im Jahr gestellt. Das ist zu wenig.

Woran liegt es?

Kissel: Zum einen wissen zu viele Menschen zu wenig über die Krankheit, das Risiko, sich anzustecken und die Möglichkeiten, sie zu behandeln. Wir brauchen also mehr Aufklärung. Wollen wir mehr der infizierten Menschen finden, um diese auch heilen zu können, dann brauchen wir bundesweite Kampagnen. Außerdem sollte „BIS 2030“, der Strategie-Plan der Bundesregierung, konsequent umgesetzt werden. Das liefe auf einen nationalen Aktionsplan hinaus, der konkrete und sektorübergreifende Maßnahmen für Bund, Länder und Gemeinden definiert und dessen Umsetzung durch eine ständige Arbeitsgruppe der Bundesregierung koordiniert werden müsste. Und schließlich brauchen wir einen stärkeren Fokus auf Risikogruppen: Einfach zu erreichende, lebensweltnahe Test- und Therapiemöglichkeiten müssen insbesondere bei Risikogruppen verstärkt angeboten werden. Dazu zählen u.a. Drogengebraucher und Substitutionspatienten. Wir dürfen aber auch die Justizvollzugsanstalten nicht vergessen. Dort ist die Hepatitis C-Prävalenz besonders hoch.

Am 28. Juli ist Welt-Hepatitis-Tag. ©iStock.com/Chinnapong
Am 28. Juli ist Welt-Hepatitis-Tag. ©iStock.com/Chinnapong

Wie realistisch ist das Ziel der Weltgesundheitsorganisation, Hepatitis C bis Ende 2030 weltweit zu eliminieren?

Kissel: Ich persönlich finde es wichtig, dass man sich ehrgeizige Ziele setzt. Es geht um circa 71 Millionen Menschen weltweit, denen ansonsten eine Chance auf Heilung entgeht. Aber realistischerweise muss man feststellen, dass erst fünf Länder dieser Welt auf dem Weg sind, das zu schaffen, darunter Frankreich, Spanien und die Schweiz. Es muss uns gelingen, die Infektionsketten wirksam zu unterbrechen. Deshalb gilt es, die Screening-, Test- und Behandlungsraten deutlich zu erhöhen.

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