Der Kampf gegen das Coronavirus  die Forschung an Medikamenten sowie Impfstoffen profitiert von Netzwerken  die bereits in den Jahren zuvor aufgebaut wurden. Foto: CC0 (Stencil)
Der Kampf gegen das Coronavirus die Forschung an Medikamenten sowie Impfstoffen profitiert von Netzwerken die bereits in den Jahren zuvor aufgebaut wurden. Foto: CC0 (Stencil)

Wie eine europäische Forschungsinitiative auf SARS-CoV-2 reagiert

Seit Beginn ihrer Arbeit im Jahr 2008 hat die Innovative Medicines Initiative (IMI) – eine öffentlich-private Partnerschaft zwischen Europäischer Union und europäischer Pharmaindustrie – schon so einige Forschungsprojekte im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen, Infektionskrankheiten oder zur Entwicklung von Impfstoffen aufgesetzt. Die getätigten Investitionen „erweisen sich in der aktuellen Pandemie als extrem wertvoll; genauso wie die Beziehungen und Netzwerke, die wir rund um den Globus aufgebaut haben“, meint Geschäftsführer Pierre Meulien.

„Es ist leicht zu vergessen, dass Infektionskrankheiten im ersten Teil des 20. Jahrhunderts für die Mehrheit der Todesfälle verantwortlich waren“, so Meulien. Das galt damals auch für entwickelte Länder: „Die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA und Europa lag bei 45 bis 48 Jahren. Zwei Innovationen – Antibiotika und Impfstoffe – änderten das“, führt der Molekularbiologe in einem Beitrag für die IMI aus. In den Staaten der Ersten Welt wurden sie großflächig zwischen 1950 und 1970 eingeführt – „die Lebenserwartung stieg auf über 70 Jahre an“.

Tatsache ist dennoch: Bisher konnten nur die Pocken und die Rinderpest weltweit ausgerottet werden (s. Pharma Fakten). Andere Infektionskrankheiten suchen die Menschheit noch immer heim. Nur „heute stehen wir vor neuen Herausforderungen“. Mit Blick auf zunehmende Arzneimittelresistenzen braucht es zum Beispiel dringend neue Antibiotika oder andere Lösungen. „Und wir wissen jetzt nur zu gut, dass wir künftig auf Pandemien wie COVID-19 besser vorbereitet sein müssen.“

„Angesichts solch gewaltiger Herausforderungen ist es keine Überraschung, dass die IMI beachtliche Ressourcen mobilisiert hat, um diesen Anforderungen öffentlicher Gesundheit gerecht zu werden.“ Laut Meulien sind 30 Prozent der IMI-Forschungsprojekte Infektionskrankheiten gewidmet. „Das entspricht einem Budget von über 1,5 Milliarden Euro aus öffentlichen sowie privaten Quellen“.

Partnerschaften: Risiken senken, Expertise bündeln

Gerade Forschungsprojekte, die Antibiotikaresistenzen adressieren oder das Ziel haben besser für Pandemien gewappnet zu sein, „eignen sich für öffentliche-private Partnerschaften wie die IMI“, sagt Meulien. Denn in beiden Bereichen herrscht „Marktversagen“, so der Experte: In Bezug auf Antibiotika gilt es, aufwändig neue Medikamente zu entwickeln – die aber so wenig wie möglich eingesetzt (und verkauft) werden, um Resistenzen zu vermeiden. Und in Zeiten von „Pandemien machen Unternehmen häufig neu entwickelte Therapien und Vakzine zum Selbstkostenpreis verfügbar; als Ergebnis sind die Profitmargen im Grunde nicht existent.“

Zusammenschlüsse: Öffentlichkeit & Privatwirtschaft. 
Foto: CC0 (Stencil)
Zusammenschlüsse: Öffentlichkeit & Privatwirtschaft.
Foto: CC0 (Stencil)

Zusammenschlüsse zwischen öffentlicher Hand und Firmen der Privatwirtschaft haben da den Vorteil, dass die Investitionsrisiken der einzelnen Akteure sinken; zudem wird Expertise gebündelt. Ein Beispiel ist das IMI-Programm, das als Antwort auf die Ebola-Epidemien 2014 und 2016 ins Leben gerufen wurde. Jüngst wurde ein erster Impfstoff von der Europäischen Kommission zugelassen, dessen Entwicklung die IMI unterstützt hatte.

Angesichts der aktuellen Pandemie hat die IMI nun acht neue Projekte ausgewählt, die eine Finanzierung erhalten sollen:

Zusammen genommen werden sich 94 Organisationen – darunter Pharmaunternehmen, Universitäten, Forschungseinrichtungen, Behörden sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) – gemeinsam der Entwicklung von Diagnostika und Therapien im Zusammenhang mit dem Coronavirus widmen. Darunter ist z.B. das auf fünf Jahre ausgelegte europäische „CARE (Corona Accelerated R&D in Europe)“-Konsortium: Wie Boehringer Ingelheim kürzlich meldete, ist es „das größte Projekt dieser Art zur Erforschung und Entwicklung dringend benötigter neuer Behandlungsmöglichkeiten für COVID-19“. Seitens der Pharmaindustrie sind unter anderem Firmen wie Pfizer, Novartis, Bayer und Servier Partner.

Pandemie: Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden

Darüber hinaus gilt es, bestehende Netzwerke und Partnerschaften zu nutzen, betont Meulien: „Seit über einem Jahrzehnt ist die IMI nun auf mehreren Ebenen in die Forschung im Bereich Arzneimittelresistenzen involviert“, erklärt er. „Große Netzwerke bestehend aus Kliniken und Laboratorien wurden über ganz Europa aufgebaut, damit neue Antibiotika klinisch und effizient dort erprobt werden können, wo auch immer es zu Ausbrüchen kommt.“ Diese Netzwerke können nun für die COVID-19-Forschung genutzt werden. Sich „weltweit zu verbinden wird die Reaktionsfähigkeit hinsichtlich einer nächsten COVID-19-Welle oder Pandemie verbessern“, meint der Molekularbiologe.

Von Nutzen kann da auch die „Zoonoses Anticipation and Preparedness Initiative“ sein: Pharmafirmen, KMUs, Universitäten und  Experten anderer Einrichtungen aus dem Gesundheitswesen beschäftigen sich hier seit 2015 mit Infektionskrankheiten, die zwischen Mensch und Tier übertragen werden (sog. Zoonosen). Die von ihnen entwickelten Technologien sollen es ermöglichen, Impfstoffe bzw. Antikörper schneller zu entwickeln und zu produzieren – unabhängig davon, welcher zoonotische Erreger auftritt. Wie es der Zufall so will, arbeiteten die ZAPI-Wissenschaftler außerdem konkret an monoklonalen Antikörpern gegen das MERS-Coronavirus. Womöglich sind diese auch gegen das neuartige Coronavirus wirksam. Überprüft wird das nun in dem Projekt MANCO, finanziert von der Europäischen Kommission.

„VAC4EU“: Nutzen und Risiken von COVID-19-Vakzinen in Europa monitoren. ©iStock.com/jarun011
„VAC4EU“: Nutzen und Risiken von COVID-19-Vakzinen in Europa monitoren. ©iStock.com/jarun011

Darüber hinaus bietet die European Lead Factory (ELF), an der u.a. Pharmaunternehmen wie Bayer und Servier beteiligt sind, eine riesige Substanzbibliothek, die Forschern weltweit freien Zugriff auf bis zu 550.000 neuartige Moleküle gewährt. Diese können nun gescreent werden – in der Hoffnung, dass ein geeigneter Ausgangsstoff für ein potenzielles COVID-19-Medikament dabei ist.

COVID-19: Real World-Daten sammeln

Ist ein Arzneimittel oder eine Vakzine zugelassen, müssen weitere Daten rund um Nutzen und Nebenwirkungen in der „real world“ generiert werden.

Mehrere IMI-Projekte werden die Europäische Arzneimittelbehörde EMA dabei künftig unterstützen. Da ist zum einen „EHDEN“: Es wurde ursprünglich ins Leben gerufen, um die anonymisierten Gesundheitsdaten von über hundert Millionen EU-Bürgern in ein einheitliches Netzwerk zu überführen. Zum anderen ist da ConcePTION, welches 2019 mit dem Ziel aufgesetzt wurde, Informationen rund um die Sicherheit von Therapeutika während Schwangerschaft und Stillzeit zu sammeln. Hinzu kommt „VAC4EU“ – eine Initiative, die aus dem IMI-Projekt ADVANCE entstanden ist: Sie wird der EMA künftig dabei helfen, Nutzen und Risiken von COVID-19-Vakzinen in Europa zu monitoren.

ZAPI, ELF, EHDEN, ConcePTION, ADVANCE: Die IMI als öffentlich-private Partnerschaft zwischen Europäischer Union und europäischer Pharmaindustrie listet noch einige mehr Projekte auf, die zu den weltweiten Forschungsbemühungen rund um das Coronavirus beitragen (s. „Meet the IMI projects already helping to fight COVID-19“). Meulien resümiert: „Die COVID-19-Pandemie ist das beste Beispiele dafür, wie vergangene Investitionen genutzt werden können, um nun die Reaktionsfähigkeit zu erhöhen“.

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