Auf dem „Gesundheitskongress des Westens“ (8.-9.9.) erklärte Prof. Josef Hecken vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)  warum er anwendungsbegleitende Datenerhebungen bei Arzneimitteln in manchen Fällen als „Chance“ sieht. Credit: WISO/Schmidt-Dominé
Auf dem „Gesundheitskongress des Westens“ (8.-9.9.) erklärte Prof. Josef Hecken vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) warum er anwendungsbegleitende Datenerhebungen bei Arzneimitteln in manchen Fällen als „Chance“ sieht. Credit: WISO/Schmidt-Dominé

Aktuelles aus dem Gemeinsamen Bundesausschuss

Es war der erste gesundheitspolitische Kongress seit Beginn der Corona-Pandemie: der „Gesundheitskongress des Westens“ (8.-9.9.) – ausgetragen in Köln und online per Videostream. Das Motto: „Gemeinsam große Herausforderungen bewältigen!" Einer der Redner war Mittwochmittag der Unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Professor Josef Hecken. Er erklärte unter anderem, warum er anwendungsbegleitende Datenerhebungen bei Arzneimitteln in bestimmten Fällen als „Chance“ sieht.
Josef Hecken, G-BA, beim Gesundheitskongress des Westens. Credit: WISO/Schmidt-Dominé
Josef Hecken, G-BA, beim Gesundheitskongress des Westens. Credit: WISO/Schmidt-Dominé

„Wir haben mittlerweile jährlich 3,2 Milliarden Einsparpotenzial durch das AMNOG“, erklärte Hecken auf der Veranstaltung. Damit habe man die Einsparziele, die der Gesetzgeber mit Einführung des sog. „Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes“ (AMNOG, 2011) vor Augen hatte, „mehr als übertroffen“. Der Hintergrund: Das AMNOG sieht vor, dass sich der Preis eines neu zugelassenen Medikaments am Zusatznutzen gegenüber bereits erhältlichen Medikamenten orientieren soll. Grundlage bildet eine Zusatznutzenbewertung, die der G-BA durchführt. „Wir haben über 400 Verfahren in zehn Jahren durchgeführt“, so Hecken. Er betonte zudem: „Wir haben immer noch den schnellsten Marktzugang in Deutschland gegenüber anderen europäischen Staaten: 1,7 Monate, dann sind die neuen Wirkstoffe auf dem Markt“. 

Bei Orphan Drugs seien es 1,3 Monate von Zulassung bis Verfügbarkeit. Im Vergleich: In Frankreich sind es 18,8 Monate, die Patienten mit seltenen Krankheiten auf ein Medikament warten müssen.

Hochspezialisierte Arzneimittel für schwerkranke Patienten

Eine Herausforderung: „Wir bekommen immer frühere Zulassungen – nicht mehr nur im Bereich der Orphans – mit immer schwächerer Evidenz“. Das sei allerdings kein Vorwurf an die pharmazeutischen Unternehmer. Denn mittlerweile stoße man in Erkrankungsgebiete vor, „wo ich nur noch sieben, acht, neun oder fünfzehn Patienten habe“. Das ist eigentlich eine gute Nachricht: Immer öfter profitieren auch Menschen, deren Erkrankungen besonders selten, schwer oder komplex sind, vom medizinischen Fortschritt. Doch in solchen Fällen – in denen es oftmals nicht mal eine Therapiealternative gibt – eine verblindete, randomisierte Studie zu machen, „geht schlicht und ergreifend nicht.“ 

Als Beispiel nennt Hecken die Spinale Muskelatrophie – eine Nervenerkrankung, die bei betroffenen Säuglingen dazu führen kann, dass sie noch vor ihrem dritten Geburtstag versterben. „Betroffen sind Gott sei Dank wenige Kinder“. Bis man da bei einem neuen Wirkstoff eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) – der Goldstandard klinischer Forschung – durchgeführt habe, könnten viele Jahre ins Land gehen. Und das „in einer Situation, in der die Kinder nach drei Jahren tot sind“, erklärt Hecken das Dilemma. Als Nutzenbewerter müsse man daher den „Versuch unternehmen, auf der Basis der schwachen Daten eine Erstbewertung vorzunehmen“, plädiert der G-BA-Chef. Es gilt, die Evidenzlage nachgelagert in der Versorgung zu verbessern.

Das betrifft laut Hecken nicht nur Orphan Drugs. Ein Beispiel: „Wir sind in der Onkologie mittlerweile in […] Bereiche vorgestoßen, wo es unethisch wäre, Patienten randomisiert in einer Studie eine Zeit lang entweder mit einem neuen Wirkstoff zu behandeln oder ihnen Placebo zu geben.“ Schließlich geht es für Menschen, bei denen schon alle anderen Therapiemöglichkeiten versagt haben, um Leben oder Tod – es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Anwendungsbegleitende Datenerhebungen: „Chance“?

Gesundheitskongress des Westens in Pandemie-Zeiten. Credit: WISO/Schmidt-Dominé
Gesundheitskongress des Westens in Pandemie-Zeiten. Credit: WISO/Schmidt-Dominé

Arzneimittelinnovationen mit wenig Evidenz einfach „abzuschießen“ und Patienten sterben zu lassen: Das ist für Hecken natürlich keine Alternative. Vor diesem Hintergrund sieht er das Verfahren der „anwendungsbegleitenden Datenerhebung“ als „Chance“. Die Idee: „Wenn die Daten einigermaßen in eine bestimmte Signalrichtung zeigen, dann geben wir dem Produkt einen Vertrauensvorschuss“. Im Gegenzug kann der G-BA eine anwendungsbegleitende Datenerhebung verlangen, sobald das Medikament auf dem Markt ist – etwa über Register, in denen die Daten der Patienten aus dem Behandlungsalltag gesammelt werden. Mit anwendungsbegleitenden Datenerhebungen wolle Hecken eine „Chance“ geben „in Fällen, in denen es ansonsten nicht möglich ist, Evidenz zu generieren“. Ziel ist es, nachgelagert den Beweis für den (Zusatz-)Nutzen einer Innovation zu erbringen.

„Die RCT bleibt der Maßstab für die Masse der Produkte“, betont Hecken. „Die anwendungsbegleitende Datenerhebung ist die ultima ratio, wenn objektiv keine höherwertige Evidenz zum Zwecke der Nutzenbewertung erwartet werden kann.“ Trotzdem müsse man versuchen, „in die Nähe der Maßstäbe der evidenzbasierten Medizin zu kommen“ – etwa beim Design von Registerstudien. „Ich brauche unabhängige Institutionen, die die Register führen; ich brauche verbindliche Finanzierung“, zählt Hecken einige der Herausforderungen bzgl. der Ausgestaltung von Registern auf.

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: